Menschliche Skulpturen in signalrot
SCHNAITTACH - „Im Sein verwundet" heißt die „Enthüllungsaktion" der Künstlerin Irmingard Beirle, die man am Freitag, 3. März, live in der Residenz in Neumarkt erleben und ein Teil davon werden kann. Die Schnaittacherin wurde als „Künstlerin der Metropolregion Nürnberg" im Januar ausgezeichnet. Ein Besuch in Schnaittach.
Irmingard Beirle trägt schwarz. Und immer auch eine starke Farbe. Meistens ist dies ein leuchtendes Rot. „Rot steht für Blut, aber auch für Leben", erklärt die Aktionskünstlerin. Die Signalfarbe begleitet sie durch alle Phasen ihres Schaffens. Und verdeutlicht gleichermaßen die Nähe zu ihrem Beruf: Irmingard Beirle ist studierte Pharmazeutin. Jahrzehntelang führte sie die Marien-Apotheke, seit 1927 in Familienbesitz, am Schnaittacher Marktplatz, ihre Tochter Ariane Hartmann-Beirle übernahm 2011.
Fein zeichnen, grob malen
Wer die Marien-Apotheke betritt, findet auch hier Signalrot - und filigrane Pflanzen-Zeichnungen, mit denen Beirle vor vielen Jahren die Wände verzierte. ,,Ich kann ganz fein zeichnen und auch ganz grob malen", sagt sie. Und, dass sie das feine Zeichnen gerade in ihrem Pharmazie-Studium sehr gut brauchen konnte. Womit sich der Kreis wieder schließt. Denn ihre aktuellen Werke sind (wieder) zarte Tusche-Zeichnungen, die eingehüllte Menschen zeigen. ,,Gefangen im Sein - ein Netz aus feinen Fäden gesponnen, wie ein Kokon, eine Hülle, die schüzt, stützt, aber auf Dauer auch einigelt, einengt, isoliert", ist in einem Katalog zu lesen.
Irmingard Beirle wurde 1942 in München geboren, wuchs in Schnaittach auf und lebt hier „immer noch sehr gerne." Der Kunst gab sie ab 1982 Raum in ihrem Leben, nach der Geburt dreier Kinder und der Übernahme der mütterlichen Apotheke.
Sie erhielt wegen ihrer großen Begabung an der Salzburger Akademie Unterricht von Gotthard Graubner und Hermann Nitsch. Vor allem letzterer, berühmt durch sein „Orgien Mysterien Theater", beeindruckte sie tief. „Wir waren bis zu seinem Tod 2022 sehr verbunden" sagt die sympathische Frau mit dem knallroten Lippenstift. Eine Zeit lang malte sie großformatig, gegenstandslos und monochrom in Rottönen.
Als Akteurin war Irmingard Beirle am Sechs-Tages-Spiel des „Orgien Mysterien Theaters" 1998 in Prinzendorf und 2005 bei der 122. Aktion am Wiener Burgtheater beteiligt. „Das war mehr als intensiv. Ich bin an Grenzen gestoßen", sagt sie. Am Kreuz gefesselt lag sie im Wiener Burgtheater am Boden, bekleidet mit einem weißes Hemd, die Augen verbunden. Blut wurde über sie geschüttet, um sie herum getanzt Beirle möchte diese Erfahrungen keinesfalls missen: ,,Ich wollte das. Dies führte mich dorthin, wo ich heute zwei Jahrzehnte später künstlerisch stehe." Sie war eine „passive Akteurin", ,,alles andere hätte ich nicht geschafft." Die Leidenschaft für Performances entwickelte sie stetig weiter. Sie ließ sich mit roten Stricken selbst verschnüren.
Heute wickelt Beirle andere ein. Fast immer mit meterlangen Verbandsbinden in Rottönen von orange bis dunkelrot. Männer und Frauen, Besucher der jeweiligen Ausstellung, die sich aus freien Stücken für ihre Performance zur Verfügung stellen. Und ihre ganz eigenen Erfahrungen machen. ,,Das Verbinden ist ein Zeichen für Heilen von wunden", sagt die Schnaittacherin. Womit wieder die Verbindung zur Pharmazie hergestellt ist.
Reise nach Armenien
Die Initialzündung war eine Reise mit ihrem Mann Konrad, der all ihre Aktionen fotografisch dokumentiert, nach Armenien. „Ich hatte zwei rote Verbandsbinden dabei und überlegte, was ich damit machen könnte'', sagt die Künstlerin. Daraus entstand die Idee, mit ihren Performances an Geschehnisse oder Personen zu erinnern.
Die Aktion „wounded" 2016 in Armenien verweist beispielsweise auf den Genozid von 1915 bis 1923. 14 großformatige Fotografien sind das Resultat, die sie bei weiteren Performances ausstellt. Im Rahmen des regionalen „Kunstwettbewerbs ErinnerungsRÄUME" verband sie für ihr Projekt „Im Sein verwundet" in Schupf den Körper oder zumindest den Kopf von Besuchern mit dunkelroten Binden. Damit wollte sie an das Leid der im KZ-Außenlager Hersbruck Inhaftierten erinnern.
„Es ist unglaublich spannend, die verschiedenen Menschen einzuwickeln,“ sagt Beirle. Die eine steht sofort still. Der andere zappelt und braucht lange, um ruhig zu werden. „Ich schaue ihm dann in die Augen, bis er sich beruhigt hat.“ überhaupt die Augen - sie sind das einzige Teil des Körpers, das nicht eingewickelt wird. Es ist ein Gefangen sein, ein unbewegliches Verharren für den Protagonisten. Der eingebundene Körper wird zur Kunstfigur und somit zur sozialen Skulptur. Ein Erlebnis, kathartischer Art, das mit der eigenständigen Befreiung, dem lösen der Binden, endet. Was nicht jedem leicht fällt. Irmingard Beirle fühlt sich danach „erfüllt und sehr erschöpft. Ich nehme viel mit."
Auf der Terrasse hängt ein lilafarbener Mantel, den sie zur feierlichen Urkundenübergabe am 3. März in Neumarkt tragen wird - und den sie vor ihrer Performance ablegen wird. Dann steht sie da, ganz in Schwarz, mit roten Lippen konzentriert und fokussiert auf die Menschen, die sich in ihre Hände begeben. Sich ihr anvertrauen. Und sich von kopf bis Fuß einwickeln lassen werden.
Katja Jäkel